Das Impostor-Syndrom – Wenn Erfolg sich nicht echt anfühlt
- Sonja Rosenbaum

- 9. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Nov.
Viele erfolgreiche Menschen kennen diesen stillen Zweifel:
„War das wirklich ich? Oder nur Glück?“
„Wenn die anderen wüssten, wie unsicher ich eigentlich bin …“
Dieses Muster hat einen Namen – Impostor-Syndrom (oder „Hochstapler-Phänomen“) – und betrifft weit mehr Menschen, als man denkt. Studien zeigen: Rund 70 % aller Berufstätigen erleben in ihrem Leben Phasen, in denen sie ihren Erfolg nicht für verdient halten (Bravata et al., 2020).
🧩 Was hinter dem Impostor-Syndrom steckt
Menschen mit Impostor-Erleben glauben, dass sie andere getäuscht haben – als hätten sie ihren Erfolg nur durch Zufall, Fleiß oder äußere Umstände erreicht.
Sie zweifeln an ihrer Kompetenz, obwohl objektiv vieles für sie spricht.
Psychologisch betrachtet ist das kein Defekt, sondern ein Muster der Selbstwahrnehmung, das sich aus drei Mechanismen speist:
Kognitive Verzerrung:
Erfolge werden externalisiert („Ich hatte Glück“), Misserfolge internalisiert („Ich bin nicht gut genug“).
Perfektionismus:
Nur 100 % gelten als Beweis für Kompetenz. Jede Unsicherheit wird als „Enttarnungsgefahr“ erlebt.
Soziale Vergleichsdynamik:
In leistungsorientierten Systemen idealisieren wir andere und unterschätzen das eigene Können.
Diese Kombination führt zu einem paradoxen Zustand: äußerer Erfolg – innerer Zweifel.
🧠 Der innere Kreislauf
Das Impostor-Muster folgt einem wiederkehrenden Loop:
Erfolg → kurz Freude → Zweifel → „Ich hatte nur Glück“ → Angst, entdeckt zu werden → Überkompensation → Erschöpfung → neuer Erfolg → neuer Zweifel
Dieser „Impostor-Loop“ hält das Nervensystem in ständiger Anspannung.
Betroffene sind überdurchschnittlich leistungsbereit, aber selten wirklich zufrieden. Auf Dauer entsteht ein Zustand aus chronischem Stress, Erschöpfung oder Burnout (Sakulku & Alexander, 2011).
🌪 Wie das Impostor-Erleben das Leben prägt
Das Syndrom beeinflusst Denken, Fühlen und Handeln auf mehreren Ebenen:

Im Coaching oder in der Therapie zeigt sich häufig:
Es geht nicht um fehlende Kompetenz, sondern um fehlende Integration von Erfolg ins Selbstbild.
🌱 Wege aus dem Muster
Der erste Schritt ist, das Phänomen zu erkennen.
Nicht als Schwäche, sondern als Spiegel eines hohen Reflexions- und Verantwortungsniveaus.
Hilfreiche Strategien:
Selbstmitgefühl trainieren (Neff, 2011):
Sich selbst mit derselben Milde begegnen, die man anderen schenken würde.
Erfolge bewusst integrieren:
Nach jedem gelungenen Schritt innehalten: Was habe ich konkret dafür getan, dass das funktioniert hat?
Das „innere Team“ kennenlernen:
Mit dem inneren Kritiker, Antreiber und verletzlichen Anteil arbeiten – nicht gegen sie.
Offene Gespräche:
Das Thema in Kolleg:innen- oder Führungskreisen ansprechen. Man ist selten allein damit.
Körperliche Regulation:
Atemübungen, Bewegung, Achtsamkeit – sie helfen, das Nervensystem aus dem Dauer-Alarmmodus zu holen.
🔍 Wenn Hochsensibilität oder Hochbegabung mitspielen
Gerade hochsensible oder hochbegabte Menschen sind anfällig für das Impostor-Erleben.
Weil sie feine Nuancen wahrnehmen und sich stark reflektieren, sehen sie ihre eigenen Schwächen deutlicher als andere.
Sie vergleichen sich nicht mit realen Personen, sondern mit inneren Idealen – und verlieren so das Maß.
Hier hilft es, das eigene Denken als Ressource zu begreifen:
Tiefe Reflexion ist keine Schwäche – sie ist Ausdruck kognitiver und emotionaler Differenziertheit.
✨ Fazit
Das Impostor-Syndrom ist kein Zeichen mangelnder Stärke, sondern Ausdruck einer sensiblen Selbstbeobachtung in leistungsorientierten Systemen.
Wer lernt, diese Reflexion in Selbstvertrauen zu verwandeln, findet Zugang zu echter Wirksamkeit – jenseits von Perfektion.
Selbstwirksamkeit bedeutet nicht, alles zu können –
sondern zu wissen, dass das, was man kann, genügt.
📚 Quellen
Bravata, D. M. et al. (2020). Prevalence, predictors, and treatment of impostor syndrome: A systematic review. Journal of General Internal Medicine, 35(4), 1252–1275.
Clance, P. R., & Imes, S. A. (1978). The impostor phenomenon in high achieving women. Psychotherapy: Theory, Research & Practice, 15(3), 241–247.
Sakulku, J., & Alexander, J. (2011). The impostor phenomenon. International Journal of Behavioral Science, 6(1), 73–92.*
Neff, K. D. (2011). Self-compassion: The proven power of being kind to yourself. HarperCollins.







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