Wie sich negative Glaubenssätze entwickeln – und warum sie das Lernen blockieren können
- Sonja Rosenbaum

- 4. Nov.
- 2 Min. Lesezeit
Manchmal wissen wir gar nicht genau, warum uns bestimmte Situationen so stark verunsichern. Wir erinnern uns vielleicht nicht an die Auslöser – und trotzdem reagiert unser Körper mit Anspannung, Herzklopfen oder einem flauen Gefühl im Bauch. Solche Reaktionen entstehen nicht zufällig. Sie sind das Ergebnis früherer Erfahrungen, die in unserem emotionalen und körperlichen Gedächtnis gespeichert sind – und sie prägen, was wir über uns selbst denken und glauben.
Wenn der Körper zuerst reagiert – die neurobiologische Ebene
Wiederholte negative Erfahrungen, etwa ständige Kritik im Unterricht, aktivieren das Stresssystem: Hormone wie Cortisol und Adrenalin werden ausgeschüttet, Herzschlag und Muskelspannung steigen. Das Gehirn schaltet auf Schutzmodus (McEwen, 2007; Sapolsky, 2004).

Diese neurobiologische Aktivierung sorgt kurzfristig für Wachsamkeit, blockiert aber langfristig die Offenheit für Neues. Lernen wird erschwert, weil das Gehirn in einem Zustand von Bedrohung kaum noch differenziert aufnehmen oder verarbeiten kann.
Wenn Emotionen das Gedächtnis prägen – die neuropsychologische Ebene
Das Gehirn speichert emotionale Erfahrungen oft unbewusst, selbst wenn keine bewusste Erinnerung bleibt. Die Amygdala spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie verknüpft Situationen mit Gefühlen wie Angst, Scham oder Hilflosigkeit (LeDoux, 1996; Phelps & LeDoux, 2005). Deshalb können wir in ähnlichen Situationen später wieder körperliche Reaktionen erleben, ohne zu wissen, warum – das emotionale Gedächtnis „erkennt“ das Muster (Damasio, 1999; Schacter, 1999).
Wenn Gedanken zur Selbstüberzeugung werden – die kognitionspsychologische Ebene
Auf dieser Grundlage bilden sich Glaubenssätze: bewusste oder unbewusste Überzeugungen über uns selbst, die unser Denken und Verhalten steuern. Ein Kind, das im Mathematikunterricht häufig kritisiert wurde, entwickelt vielleicht den Gedanken: „Ich bin schlecht in Mathe.“ Dieser Gedanke wird zu einer inneren Wahrheit, die fortan das Lernverhalten lenkt – Aufmerksamkeit und Motivation sinken, Vermeidungsstrategien entstehen (Beilock, 2010).
Diese Top-down-Prozesse – also Gedanken, die Emotionen und Körperreaktionen beeinflussen – verstärken die alten Stressmuster. Allein der Gedanke an die Mathestunde kann nun schon Herzklopfen und Anspannung auslösen. So entsteht ein sich selbst stabilisierender Kreislauf zwischen Körper, Emotion und Kognition.
Wie sich der Kreislauf lösen lässt
Um Lernen und Veränderung wieder möglich zu machen, braucht das Gehirn Sicherheit. Erst wenn das Nervensystem sich reguliert, können neue Erfahrungen anders bewertet und abgespeichert werden. Selbstwahrnehmung, körperorientierte Regulation (z. B. Atem, Bewegung) und positive Lernerfahrungen schaffen neue Verknüpfungen im Gedächtnis – alte Glaubenssätze verlieren an Macht, neue Überzeugungen können entstehen (Porges, 2011).
Literatur
Beilock, S. L. (2010). Choke: What the secrets of the brain reveal about getting it right when you have to. Free Press.
Damasio, A. R. (1999). The feeling of what happens: Body and emotion in the making of consciousness. Harcourt Brace.
LeDoux, J. E. (1996). The emotional brain: The mysterious underpinnings of emotional life. Simon & Schuster.
McEwen, B. S. (2007). Physiology and neurobiology of stress and adaptation: Central role of the brain. Physiological Reviews, 87(3), 873–904. https://doi.org/10.1152/physrev.00041.2006
Phelps, E. A., & LeDoux, J. E. (2005). Contributions of the amygdala to emotion processing: From animal models to human behavior. Neuron, 48(2), 175–187. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2005.09.025
Porges, S. W. (2011). The polyvagal theory: Neurophysiological foundations of emotions, attachment, communication, and self-regulation. Norton.
Sapolsky, R. M. (2004). Why zebras don’t get ulcers: The acclaimed guide to stress, stress-related diseases, and coping. Holt Paperbacks.
Schacter, D. L. (1999). The seven sins of memory: Insights from psychology and cognitive neuroscience. American Psychologist, 54(3), 182–203. https://doi.org/10.1037/0003-066X.54.3.182







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